Horst Köhler, der Bibliotheksfreund
Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident, ist am 1. Februar 2025 im Alter von 81 Jahren gestorben. Seine Amtszeit zwischen 2004 und 2010 fiel in einen auch für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek einschneidenden Zeitraum: Brand der Bibliothek 2004, Eröffnung des Studienzentrums 2005 und Wiedereröffnung des sanierten Bibliotheksgebäudes 2007. In dieser Phase und später im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts bin ich ihm ein paar Mal begegnet und habe seine Unterstützung immer als äußerst hilfreich erfahren.

Schon am Brandunglück hat er, der erst wenige Monate zuvor ins Amt gewählt worden war, Anteil genommen. Er meldete sich unmittelbar nach dem Ereignis telefonisch bei Hellmut Seemann, dem Präsidenten der Klassik Stiftung, und sagte zu, die Schirmherrschaft über die Spendenkampagne zu übernehmen. Auch bei der Auftaktveranstaltung im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 24. Oktober 2004 war er dabei und hielt eine Ansprache. Als der Moderator Roger Willemsen ihn während der Feierlichkeit, die durch den Auftritt der Staatskapelle Weimar ihren festlichen Rahmen erhalten hatte, auf die Bühne bat und ihn fragte, warum er bereits am 5. September spontan am Telefon die Zusage für diesen Abend gegeben habe, ohne sein Amt und seinen Terminkalender lange zu konsultieren, erntete er mit seiner Antwort einen großen Heiterkeitserfolg: „Ich wusste, dass dieser Abend frei war, denn es ist mein Hochzeitstag.“ Frau Köhler bekam später einen großen Blumenstrauß für ihre freundliche Duldung der Prioritäten.
Zur Wiedereröffnung des Historischen Bibliotheksgebäudes am 24. Oktober 2007 hat Köhler in Weimar eine viel beachtete Festrede gehalten und anschließend das Rote Band durchtrennt. Als der Bundespräsident um 11:28 Uhr zu sprechen begann, fürchtete ich noch um den Zeitplan. Denn die ARD übertrug die gesamte Veranstaltung live, deshalb musste der Ablaufplan minutiös eingehalten werden.
Die Ausführungen des Bundespräsidenten standen unter dem Motto „Ein Freudentag für die Kulturnation“. Sie sind ein Muster an Klarheit, Verständlichkeit und Anschaulichkeit. So müssten auch Bibliothekare über ihr Metier sprechen können, dann wäre das Verständnis für die Aufgaben der Bibliotheken größer. Köhler sprach nicht nur über die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, sondern auch über die Bibliotheken im Allgemeinen und darüber, wie wichtig es ist, die schriftliche Überlieferung unversehrt zu bewahren.
„Bibliotheken sind das Gedächtnis der Menschheit. Wir müssen dieses Gedächtnis und dieses Wissen sichern für die Benutzung in der Zukunft. Daher muss auch die kulturelle Überlieferung in gedruckter und digitaler Form langfristig gesichert werden. Die Bibliotheken entfalten hier schon große Aktivitäten, weil sie wissen, dass zu ihren Kernaufgaben die dauerhafte Aufbewahrung der wissenschaftlichen und kulturellen Überlieferung gehört.“1

Aber nicht Köhlers Rede, nur der anschließende Beifall dauerte länger als vorgesehen. Der Zeitverzug konnte aber durch den Auftritt von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der nur mäßigen Applaus erhielt, wieder wettgemacht werden.
Horst Köhler war in den ersten Jahren seiner Amtszeit als Bundespräsident der beliebteste Politiker Deutschlands. Er hatte sich einiges einfallen lassen, um mit verschiedenen Teilen der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen, die bisher kaum eine Chance hatten, mit ihren Problemen und Wünschen gehört zu werden. So bat er z. B. mehrmals im Jahr ins Schloss Bellevue zu einem sogenannten „Kulturfrühstück“. Einmal, am 16. Februar 2007, waren auch dreizehn Bibliothekare in den Amtssitz des Bundespräsidenten eingeladen, um über die Situation der Bibliotheken in Deutschland zu berichten und zu diskutieren.2 Es ging um die Rolle der Bibliotheken für Bildung und Lesen, ihre Dienstleistungen für die Wissenschaft, eine überregionale Strategie zur Bestandserhaltung und Digitalisierung sowie um fehlende Strukturen auf nationaler Ebene, um Doppelarbeit zu vermeiden, vernachlässigte Aufgaben aufzugreifen und das deutsche Bibliothekswesen auch international sichtbar zu machen. Anschließend hat der Bundespräsident die Bibliotheksanliegen tatsächlich weiter im Blick gehabt und befördert, soweit er auf Regierungsvorgänge Einfluss nehmen konnte.
Das zeigte sich auch am 28. April 2009, als Vertreter der Allianz „Schriftliches Kulturgut erhalten“ dem Staatsoberhaupt auf Schloss Bellevue eine Denkschrift überreichen konnten. Bei der Übergabe stellte Köhler die Botschaft der Denkschrift in den Kontext der Empfehlungen der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“. Diese hatte in ihrem Schlussbericht vom Dezember 2007 empfohlen, „gemeinsam eine nationale Bestandserhaltungskonzeption für gefährdetes schriftliches Kulturgut zu erarbeiten“. Die Enquete-Kommission hatte der Bundesregierung weiterhin nahegelegt, „ein Förderprogramm zur physischen Rettung, digitalen Erfassung und digitalen Sicherung von bedrohtem schriftlichem Kulturgut von nationaler und europäischer Bedeutung aufzulegen sowie sich dafür einzusetzen, dass entsprechende Fördermöglichkeiten auf EU-Ebene erweitert werden.“3 Mit der Denkschrift werde die Forderung der Enquetekommission nach einer nationalen Strategie präzisiert und verstärkt, sagte der Bundespräsident.4 Das wichtigste indirekte Ergebnis der Denkschrift-Übergabe war die Gründung der Koordinationsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) an der Staatsbibliothek zu Berlin.5
Lange nach seiner Pensionierung hat sich Horst Köhler noch einmal für die Erhaltung von Bibliotheksgut eingesetzt. Er reiste zur Abschlussfeier der Initiative „Helvetica in Weimar“ nach Zürich, um am 23. Oktober 2015 im Fraumünster den Festvortrag zu halten.6 1329 brandgeschädigte Weimarer Bücher mit Bezug zur Schweiz waren von schweizerischen Werkstätten restauriert worden. Es war ein wichtiges Zeichen für die Sponsoren der Herzogin Anna Amalia Bibliothek aus der Schweiz zu erleben, dass dem ehemaligen Bundespräsidenten selber so viel an diesem Projekt lag.

Mir hat Horst Köhler zu meinem Abschied aus dem Dienst in der Zeitschrift Supralibros ein paar persönliche Zeilen gewidmet7, bei deren Lektüre ich rote Ohren bekommen habe.
Für seine Verdienste um die Bibliotheken hat Horst Köhler 2011 die Karl-Preusker-Medaille erhalten. Claudia Lux, Präsidentin von Bibliothek & Information Deutschland, betonte in ihrer Laudatio, dass noch nie ein Staatsoberhaupt in Deutschland „den Bibliotheken so viel Respekt und Unterstützung“ habe „zuteilwerden lassen“, wie es Bundespräsident Horst Köhler getan habe.
Die Bibliothekare in Deutschland werden ihn in dankbarer Erinnerung behalten.
- Horst Köhler: Ein Freudentag für die Kulturnation. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 54 (2007), S. 311-314, hier S. 314. [↩]
- Vgl. Frühstück auf Schloss Bellevue. Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn am 14. November 2022. [↩]
- Schlussbericht der Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ vom 11. 12. 2007. Deutscher Bundestag, Drucksache16/7000, S. 132. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/070/1607000.pdf. [↩]
- Thomas Bürger: Zukunft bewahren. Die Allianz »Schriftliches Kulturgut erhalten« übergibt dem Bundespräsidenten eine Denkschrift. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 56 (2009), S. 208-209. [↩]
- Vgl. Infrastrukturen für den Prozess der Überlieferung (1) – Die Übergabe der Denkschrift „Zukunft bewahren“ an den Bundespräsidenten vor zehn Jahren. Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn am 9. Dezember 2019 [↩]
- Abgedruckt in Supralibros, Heft 18, Mai 2016. [↩]
- Supralibros, Heft 19, September 2016 [↩]
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Michael Knoche (3. Februar 2025). Horst Köhler, der Bibliotheksfreund. Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/138bo
Ein wunderschöner Nachruf auf einen großen, feinsinnigen Freund der Bücher, der Wissenskultur und der Anna-Amalia-Bibliothek durch den langjährigen, feinsinnigen Steuermann dieser wunderbaren Bibliothek , der, wie immer, ganz dezent im Hintergrund bleibt.