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Welche Bücher gibt es nur in Print-Form? – Fokus 20. Jahrhundert – Wie weit ist die Digitalisierung der schriftlichen Überlieferung fortgeschritten? (4)

Für die Kultur- und Geisteswissenschaften ist die Bereitstellung von Büchern und Zeitschriften des 20. Jahrhunderts essenziell. Bestimmte wissenschaftlich relevante Publikationen sind nur auf Papier erschienen und wurden bisher nicht retrodigitalisiert. Das liegt am Urheberrecht: Werke werden erst 70 Jahre nach dem Tod des Autors gemeinfrei, d.h. Urheber müssen vor 1955 gestorben sein, um ihre Bücher ohne weiteres ins Netz stellen zu können. Über die Digitalisierungsquote verlässliche Zahlen zu bekommen, ist methodisch nicht leicht.1 Ein möglicher Weg ist die Analyse von Beständen der großen Bibliotheken.

Bayerische Staatsbibliothek. Foto: Ricardalovesmonuments, Wikimedia

Die Bayerische Staatsbibliothek hat einen Gesamtbestand an Druckschriften (Monographien und gebundene Zeitschriftenjahrgänge aus der Zeit 1450 bis 2025) in Höhe von 11,34 Mio. Bänden. Stand 2023. Aus dieser Zahl sind die Dubletten nicht herausgerechnet. Davon sind 1,28 Mio. digitalisiert. Die Digitalisierungsquote liegt also bei 11 %. Die gedruckten Bestände ab 1900 umfassen 9,8 Mio. Bände. Davon sind 26.000 digitalisiert. Die Digitalisierungsquote für den Bestand ab 1900 beträgt also 0,3 %.2

Die Staatsbibliothek zu Berlin hat einen Gesamtbestand an Druckschriften (Monographien aus der Zeit 1450 bis 2025) in Höhe von 8,15 Mio. Bänden. Stand 2024. Aus dieser Zahl sind die Dubletten herausgerechnet, Zeitschriften sind nicht enthalten. Davon sind 104.951 digitalisiert. Die Digitalisierungsquote liegt also bei 0,1 %. Die gedruckten Bestände ab 1900 umfassen 7,0 Mio. Bände. Davon sind 1.437 digitalisiert. Die Digitalisierungsquote für den Bestand ab 1900 beträgt also 0,02 %.3

Die Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt a. M. /Leipzig hat einen Gesamtbestand an Druckschriften (Monographien überwiegend aus der Zeit 1913 bis 2025) in Höhe von 17,9 Mio. Bänden. (Stand 2024) Aus dieser Zahl sind die Dubletten nicht herausgerechnet. Zeitschriften sind nicht enthalten. Davon sind 132.475 digitalisiert. Die Digitalisierungsquote liegt also bei 0,7 %. Eine Eingrenzung auf die Zeit ab 1900 war nicht möglich. Da die systematische Sammlung aber erst 1913 begonnen hat, ist die Digitalisierungsquote von 0,7 % für den Bestand ab 1900 durchaus aussagekräftig.4

BIS Oldenburg. Foto Michael Knoche

Die Angaben der drei Bibliotheken sind aufgrund der unterschiedlichen Maßstäbe nicht vergleichbar (einmal Angaben aus 2023, einmal aus 2024; einmal Angaben mit Zeitschriften, einmal ohne etc.), deshalb wurde auch auf eine tabellarische Gegenüberstellung verzichtet. Bei den digitalisierten Titeln ist von Überschneidungen auszugehen, sodass die Zahlen der drei größten deutschen Bibliotheken nicht einfach addiert werden können. Andere Bibliotheken werden zusätzlich weitere Titel digitalisiert haben. Doch wird man niemals auf mehr als 2 % für diesen Zeitraum kommen. Das heißt umgekehrt: Von den nur in Printform erschienenen Monographien und Zeitschriften ab 1900, die die deutschen Bibliotheken verwahren, sind 98 % nicht elektronisch verfügbar.

Auch für die Gegenwart gilt, dass bestimmte wissenschaftlich relevante Publikationen weiterhin ausschließlich auf Papier erscheinen. Als Beispiele aus der Kunstgeschichte seien die Ausstellungskataloge genannt. Wer sich für die großen Caspar-David-Friedrich-Ausstellungen des Jahres 2024 in Hamburg, Greifswald, Berlin, Dresden und Weimar interessiert, kann die jeweiligen Kataloge nur in Buchform studieren. Keiner der Kunstverlage gibt auch eine elektronische Fassung heraus. Beispiele aus anderen Fächern sind etwa die dreibändige Enzyklopädie Philosophie von Hans-Jörg Sandkühler (Hamburg: Felix Meiner 2021) oder „Die Naturkunden-Reihe“ von Judith Schalansky bei Matthes und Seitz. Ein Soziologie-Buch wie das von Andreas Reckwitz, Verlust – ein Grundproblem der Moderne (Berlin: Suhrkamp, 2024) wird von den wissenschaftlichen Bibliotheken nur in gedruckter Form zur Verfügung gestellt – das E-Book-Format gibt es, wird aber aufgrund der Lizenzpolitik der Publikumsverlage den wissenschaftlichen Bibliotheken verwehrt.

Für die Einschätzung, wie relevant Freihandbestände in den Bibliotheken sind, ist die Feststellung wichtig, dass der größte Teil der urheberrechtlich geschützten Publikationen des 20. Jahrhunderts nicht online zugänglich ist.

  1. Was frühere Jahrhunderte betrifft, vgl. meinen Blog vom 10.1.2022 https://doi.org/10.58079/lyth  und vom 17.1.2022 https://doi.org/10.58079/lyti. Fokus Zeitschriften: Blog vom 17.3.2025 []
  2. Für freundliche Auskunft danke ich Andreas Grassl, Bayerische Staatsbibliothek []
  3. Für freundliche Auskunft danke ich Martin Hollender, Staatsbibliothek zu Berlin []
  4. Für freundliche Auskunft danke ich Michaela Michel, Deutsche Nationalbibliothek. []

OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Michael Knoche (24. März 2025). Welche Bücher gibt es nur in Print-Form? – Fokus 20. Jahrhundert – Wie weit ist die Digitalisierung der schriftlichen Überlieferung fortgeschritten? (4). Aus der Forschungs­bibliothek Krekelborn. Abgerufen am 21. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13k5x


Michael Knoche

Michael Knoche war von 1991 bis 2016 Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Zu den Buchveröffentlichungen gehört: Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft (Göttingen: Wallstein 2018). Persönliche Website: https://www.knoche-weimar.de/

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