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Ein Auftritt vor dem Börsenverein 1934: Die Partei gräbt dem Buchhandel das Wasser ab – Episoden aus der Geschichte des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der seinen 200. Geburtstag feiert (6)

Auf der Außerordentlichen Mitgliederversammlung des Börsenvereins am 11. November 1934 hatte der Buchhändler Bernhard Koch aus Königsberg/Pr. einen viel beachteten Auftritt. Trotz seiner Jugend gehörte er zu den führenden deutschen Sortimentern. Er war nicht nur geschäftsführender Gesellschafter von Gräfe und Unzer, sondern auch Eigentümer der Buchhandlungen Lucas Gräfe in Hamburg und Carl Koch in Nürnberg sowie von Buchhandlung und Antiquariat Heerdegen-Barbeck in Nürnberg. Der Termin in Leipzig war die erste Zusammenkunft des Börsenvereins unter dem neuen Vorsteher Wilhelm Baur, der, obwohl erst 29 Jahre alt und glühendes Parteimitglied seit 1920, schon zum politischen Leiter des Zentralverlages der NSDAP Franz Eher Nachf. aufgestiegen war.

Bernhard Koch, Gesellschafter von Gräfe und Unzer, Königsberg/Pr.
Bernhard Koch (1900-1970), Gesellschafter von Gräfe und Unzer, Königsberg/Pr.

Koch meldete sich unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ zu Wort und setzte zu einer mehr als halbstündigen Rede an. Er schickte seinen Ausführungen das markige Bekenntnis voraus, dass „das Dritte Reich Männer und keine Memmen“ brauche und ein offenes Wort der Kritik daher sicher gut aufgenommen werde. Dann analysierte er die Lage des deutschen Sortimentsbuchhandels. An Übelständen hob er neben der Kapitalarmut der meisten Firmen, die Direktlieferung der Verlage an die Leser ohne Beteiligung der Sortimenter, den Buchverkauf durch Auch-Buchhändler wie Schreibwarenhändler und den parteiamtlichen Buchvertrieb hervor. Bei diesem Punkt verweilte er etwas länger und sparte nicht mit Kritik an der Wettbewerbsverzerrung durch nationalsozialistische Stellen und staatliche Behörden. „Das deutsche Sortiment“, erklärte er mit Emphase,

ist willens und in der Lage, die vom nationalsozialistischen Staat ihm gestellte Aufgabe zur Verbreitung nationalsozialistischen Schrifttums zu erfüllen, und ich glaube, dass Sie dem deutschen Sortiment den besten Dienst damit erweisen, daß der gesamte Buchvertrieb dem deutschen Sortiment wieder zurückgegeben wird. … das scheint mir die große Aufgabe des Buches zu sein, das gesamte deutsche Volk für die nationalsozialistische Weltanschauung zu gewinnen und es mit dem Glauben an diese gewaltige Bewegung zu erfüllen und zu durchdringen.

Nach dieser Beteuerung des Willens zur Mitwirkung berührte Koch weitere Punkte, die ihm auf den Nägeln brannten. So kritisierte er das im Eher-Verlag erschienene Verzeichnis für nationalsozialistische Büchereien, das man viel preiswerter und werbetechnisch klüger hätte herausgeben können, und äußerte Kritik am Börsenblatt, dessen neuer Schriftleitung er vorwarf, „ein offenes, freies Manneswort“ zu unterdrücken. Seine leidenschaftliche Rede beschloss er mit einem Zitat der ostpreußischen Dichterin und Gräfe-und-Unzer-Autorin Johanna Wolff „Leben ist Wanderschaft, aber Zukunft in sich zu tragen, darauf kommt’s an!“[1]

Nachdem Koch seine Rede beendet hatte, gab es noch zwei weitere Einlassungen, von denen aber nur eine auf ein Detail von Kochs Rede Bezug nahm. Eine Diskussion fand nicht statt, wäre in diesem Rahmen auch kaum möglich gewesen. Mittlerweile war es 12.30 Uhr geworden. Die Versammlung erhob sich von den Plätzen und brachte das Sieg-Heil auf den Führer aus. Nach dem Absingen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes beendete der Vorsteher die Hauptversammlung.[2] In dieser historischen Sitzung war eine grundlegende Satzungsänderung beschlossen und die Gleichschaltung des Börsenvereins vollzogen worden.

Kochs Rede bewegte sich auf der offiziellen weltanschaulichen Linie, bemängelte aber – mit Spitzen gegen den machtvollen Parteiverlag und den Vorsteher des Börsenvereins – die technische Umsetzung der politischen Ziele im Buchhandel. Tatsächlich betrachtete eine Mehrheit der Sortimentsbuchhändler den parteiamtlichen Buchvertrieb als existenzbedrohend, war aber bereit, sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren.

Die freimütige Adressierung der Sorgen der Sortimenter traf offensichtlich den Nerv vieler Fachkollegen. Anton Kippenberg, der Verleger des Insel-Verlags, den Koch in seiner Rede als positives Beispiel eines Verlegers hervorgehoben hatte, schrieb an ihn:

Mein Schwiegersohn und Freunde haben mir berichtet, wie tapfer Sie in der Hauptversammlung des Börsenvereins am letzten Sonntag die Klinge geführt und auch meiner unter dem Beifall der Versammlungsteilnehmer mit besonders freundlichen Worten gedacht haben.[3]

Koch ließ seine Rede sogleich im eigenen Verlag drucken,[4] denn das Börsenblatt, in das sie eigentlich gehört hätte, war kein Forum mehr für die Diskussion kontroverser Fachthemen.

Koch bekleidete einige Ehrenämter im Buchhandel. Er war Mitglied des „Aktionsausschusses“ Ost- und Westpreußischer Buchhändler, des Verbandes, der u.a. für die Ausbildung zuständig war, sowie Obmann für Ostpreußen im Bund Reichsdeutscher Buchhändler. Das war der neue Verband, dem alle deutschen Verleger und Buchhändler – im Gegensatz zum Börsenverein, der auch ausländische Mitglieder hatte – zwangsweise angehören mussten. In dieser Funktion hatte Koch Einfluss auf die Berufszulassung, die aus wirtschaftlichen, politischen oder rassischen Gründen verweigert werden konnte. Er hat das Amt ein Jahr ausgeübt. Die „Arisierung“ von Buchhandlungen und Verlagen jüdischer Besitzer war in vollem Gange.  


Leicht verändert und gekürzt aus: Michael Knoche: Sortiments- und Verlagsgeschichte von 1722 bis 1950. (300 Jahre Gräfe und Unzer, Band 1). München: Gräfe und Unzer 2022.


[1] Bernhard Koch: Zur Lage im deutschen Sortimentsbuchhandel. Königsberg 1934.

[2] Protokoll über die Verhandlungen der außerordentlichen Hauptversammlung des Börsenvereins am 11. November 1934. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel vom 13.11.1934, S. 993.

[3] Klassik Stiftung Weimar/Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 150/1866.

[4] Koch (wie Anm. 1).



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OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Michael Knoche (14. Juli 2025). Ein Auftritt vor dem Börsenverein 1934: Die Partei gräbt dem Buchhandel das Wasser ab – Episoden aus der Geschichte des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der seinen 200. Geburtstag feiert (6). Aus der Forschungs­bibliothek Krekelborn. Abgerufen am 11. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14cc0


Michael Knoche

Michael Knoche war von 1991 bis 2016 Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Zu den Buchveröffentlichungen gehört: Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft (Göttingen: Wallstein 2018). Persönliche Website: https://www.knoche-weimar.de/

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