In welchem Umfang konnten Leser in Bibliotheken der DDR auf Literatur aus Westdeutschland zugreifen?
Zur Verbreitung der westdeutschen Literaturproduktion in wissenschaftlichen Bibliotheken der frühen DDR (2)
Die Gesamtzahlen für die Bibliotheken der DDR belegen, dass diese nicht annähernd einen repräsentativen Ausschnitt aus dem Buchmarkt der Bundesrepublik anboten. Das bestätigen auch die Zahlen einer Einzelbibliothek wie der Sächsischen Landesbibliothek.
Jahr | Titel insgesamt | Erwerbungen aus Westdeutschland | Anteil in % |
1955 | 14.234 | 1432 | 10 |
1959 | 17.813 | 2830 | 16 |
1963 | 28.834 | 3665 | 13 |
Hier zeigt sich ein Aufwärtstrend bis 1959, dann – wie auch an den anderen Einrichtungen – ein deutlicher prozentualer Rückgang. Die Quote liegt bei der größten Landesbibliothek der DDR weit unter dem Niveau der Hochschulbibliotheken. In den Zahlen sind sogar die beträchtlichen Erwerbungen durch Tausch und Geschenk mit eingerechnet. Im Zehnjahresbericht der Bibliothek hieß es dazu freimütig: „Dagegen war der Literaturbezug aus Westdeutschland und den Ländern des kapitalistischen Auslands Mitte der fünfziger Jahre noch völlig unzureichend.“1
Im internationalen Zahlungsverkehr der DDR wurde mit Valuta-Verrechnungseinheiten gerechnet. Die Regierung musste, um eine DM zu kaufen, etwa vier- bis fünfmal so viel Ost-Mark anbieten. Die Bibliotheken bekamen als „Kontingentträger“ für ihre Ankäufe von ausländischer Literatur konkrete Valuta-Kontingente zugewiesen. Im Fall der Sächsischen Landesbibliothek Dresden sah das folgendermaßen aus:

Zumindest in den sechziger Jahren gab das Volksbildungsministerium der DDR auch die genaue Aufteilung vor. So war die Landesbibliothek Schwerin z.B. gehalten, von ihren 26.000 M Kontingentmitteln des Jahres 1967 3000 M für Literatur aus USA/England, 3000 M für solche aus dem übrigen kapitalistischen Ausland, 20.000 M für solche aus Westdeutschland und Westberlin auszugeben.2
Wünsche nach Beschaffung von West-Literatur konnten auch bei Vorhandensein entsprechender Devisenmittel nicht einfach an den Buchhandel oder den Postzeitungsvertrieb zur Ausführung gegeben werden. Sie wurden vorher noch einmal politisch begutachtet. Zwischen 1950 und 1953 prüfte die „Zentralstelle für wissenschaftliche Literatur“ die Anmeldungen der Bibliotheken unter politisch-ideologischen Gesichtspunkten und ob sie den Schwerpunkten aus dem Fünfjahresplan der Regierung entsprachen. Da die Zentralstelle mit der Steuerung aber überfordert war, ging die Prüfzuständigkeit später an das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen über, das sich bei Monographien offensichtlich auf Stichproben beschränkte, aber den Zeitschriftenbezug wohl stets zu genehmigen hatte.

Die berechtigten Bibliotheken gaben ihre konkreten Bestellungen dann in der Regel an den Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel (LKG), der die Publikation besorgte und zur Auslieferung an eine örtliche Buchhandlung weiterleitete. Zeitschriften konnten auch über den Postzeitungsvertrieb bestellt werden, wenn sie dort gelistet waren.
Dieser umständliche Beschaffungsweg führte zu einer enormen Verzögerung in der Bereitstellung, zumal im besonders veränderungsfreudigen und liefersensiblen Zeitschriftenwesen. Der Schriftwechsel über fehlende Einzelhefte hatte in allen Bibliotheken einen hohen Umfang.
Fortsetzung folgt.
- Aus der Arbeit der Sächsischen Landesbibliothek 1956-1965. Hrsg. von Burghard Burgemeister. Dresden 1966, S. 21 f. [↩]
- Archiv der Mecklenburgischen Landesbibliothek. Schreiben des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen an die Mecklenburgische Landesbibliothek vom 3.2.1967 [↩]
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Michael Knoche (5. Juni 2023). In welchem Umfang konnten Leser in Bibliotheken der DDR auf Literatur aus Westdeutschland zugreifen? Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn. Abgerufen am 19. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/lyvg
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