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Die Politisierung des Bibliothekswesens der DDR am Beispiel Leipzigs

Eine Buchbesprechung

Bibliotheksgeschichten sind in der historischen Forschung generell selten, selbst in der bibliothekarischen Zunft scheinen sie an Attraktivität eingebüßt zu haben – obwohl sie zum Verständnis der Gegenwart aufschlussreich sein können, wie sich im Fall dieser am Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte der Universität Leipzig entstandenen Dissertation erweist.

Hassan Soilihi Mzé rückt nicht eine einzelne Institution oder die Geschichte eines Problems in den Mittelpunkt, sondern verfasst eine Parallelgeschichte dreier in Leipzig angesiedelter Bibliotheken: der Deutschen Bücherei, der Universitätsbibliothek (Albertina) und der Stadtbibliothek, allesamt traditionsreiche und weit über ihren Wirkungsort hinaus bedeutsame Einrichtungen. Ihr Kurs wird von der Tragödie am Kriegsende 1945 bis etwa 1968 nachgezeichnet, als die Neuordnung der Bibliotheken der DDR zu einem gewissen Abschluss gekommen war. Ziel seiner Untersuchung ist es, Formen der politisch-ideologischen Umgestaltung der wissenschaftlichen Bibliotheken auf die Spur zu kommen. Nicht nur die Öffentlichen Bibliotheken hatten einen Parteiauftrag zu erfüllen.

Universitätsbibliothek Leipzig: Mitarbeiterversammlung im teilzerstörten Gebäude der Albertina (1947). Foto: UB Leipzig

Dies konnte nur gelingen, wenn zumindest die Führungsebene mit den richtigen Leuten besetzt war. Im Fall der Universitätsbibliothek war der Erfolg der Personalpolitik zwiespältig. Zwar wurde der Direktor Fritz Prinzhorn, einer der markantesten Nazi-Bibliothekare, schon bald abberufen und nach einem Interim durch das SED-Mitglied Otto Kielmeyer ersetzt (Hans-Georg Gadamer war in dieser Phase Rektor der Universität). Aber dann folgten in schnellem Wechsel sogenannte bürgerliche Gelehrte als Direktoren, so dass die von der Partei angestrebte Festlegung auf einen sozialistischen Erziehungsauftrag erst in den 1960-er Jahren Gestalt annehmen konnte. 

An der Deutschen Bücherei, die kürzlich eine umfassende und profunde Darstellung von Christian Rau erfahren hat („Nationalbibliothek im geteilten Land“, 2018, vgl. meinen Blog vom 11.5.2020), konnte Heinrich Uhlendahl trotz des Regimewechsels bis zu seinem Tod als Direktor im Amt bleiben. Aber die Belegschaftszusammensetzung verschob sich in den Nachkriegsjahren erheblich zugunsten administrativen und technischen Personals, eine bisher wenig wahrgenommene Entwicklung, die Soilihi Mzé dem Prozess der „Entbürgerlichung“ der Bibliothek zurechnet. Spätestens mit dem Amtsantritt von Helmut Rötzsch im Jahr 1961, der nicht nur Parteimitglied war, sondern auch für die Stasi gearbeitet hat, war der Umbau zu einer „sozialistischen Nationalbibliothek“, so widersprüchlich das Konzept auch sein mochte, unumkehrbar.

Hassan Soilihi Mzé: Geöffnet Gelenkt Umgebaut. Leipzig: Universitätsverl. 2023. 266 Seiten, 33,00 € ISBN 978-3-96023-555-2

Das Gebäude der Stadtbibliothek Leipzig war 1943 komplett zerstört worden, hatte ihre Zimelien aber bewahren können und erhielt in Edith Rothe eine fachlich kompetente und tatkräftige neue Leiterin. Doch weder der übriggebliebene Bestand noch die Leiterin passten ins Konzept der Partei, so dass die ehemalige Ratsbibliothek der Stadt 1951 gleich ganz abgewickelt und in eine Volksbücherei umgewandelt wurde.

Soilihi Mzé hat einen wichtigen Beitrag zur Politisierung des Bibliothekswesens der DDR vorgelegt, der noch einmal eine populärere Zusammenfassung für ein breites Publikum verdiente. Noch mehr quellengesättigte Studien wie diese sind notwendig, damit demnächst eine neue Gesamtdarstellung des Bibliothekswesens der DDR geschrieben werden kann, die das verzerrte Bild, das Erwin Marks gezeichnet hat („Entwicklung des Bibliothekswesens der DDR“, 1985), korrigieren kann.


zuerst in BuB Forum Bibliothek und Information 76 (2024) Heft 5, S.266.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Michael Knoche (1. Juli 2024). Die Politisierung des Bibliothekswesens der DDR am Beispiel Leipzigs. Aus der Forschungs­bibliothek Krekelborn. Abgerufen am 16. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/11x14


Michael Knoche

Michael Knoche war von 1991 bis 2016 Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Zu den Buchveröffentlichungen gehört: Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft (Göttingen: Wallstein 2018). Persönliche Website: https://www.knoche-weimar.de/

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